Marienplatz und Lehenviertel in Stuttgart

Dr. Alfred Hinderer 

Das Lehenviertel, ein noch weitgehend erhaltenes Stadtquartier mit vielen architektonisch eindrucksvollen Häusern, schönen Straßenzügen und ruhigen Plätzen.

Marienplatz

Der Marienplatz

ist der zentrale Platz und ein urbaner Szenetreff im Stuttgarter Süden. Rund um ihn finden sich heute schicke Restaurants, coole Bars und hervorragende (Eis-)Cafés. Die Zahnradbahn startet von hier ihre aussichtsreiche Auffahrt nach Degerloch, und auch der Stuttgarter Weinwanderweg hat hier seinen Anfangspunkt.

Der Marienplatz wurde 1876 angelegt und war das Bindeglied zwischen der modernen Residenzstadt und dem damals noch dörflichen Heslach. Er war benannt worden nach der Prinzessin Marie von Waldeck-Pyrmont ( * 1857 in Arolsen, 1882 in Ludwigsburg) anlässlich ihrer Verlobung mit dem Kronprinzen Wilhelm, dem späteren König Wilhelm II. In der NS Zeit wurde der Platz umgetauft zum „Platz der SA“.

Von ihm gehen sternförmig mehrere Straßen ab: die Böblinger Straße, die Möhringer Straße und die Böheimstraße nach Kaltentalund Vaihingen, die Tübinger Straße in die Innenstadt, die Filderstraße und in ihrer Verlängerung die Olgastraße in den Osten und die Hohenzollernstraße in den Stuttgarter Westen. Hier ist auch die Einfahrt zum Heslacher Tunnel.

Zwischen diesen Straßen liegt der hufeisenförmige Marienplatz. Bis zum Jahr 2002 präsentierte er sich als ein eintöniges und durch viele Büsche unübersichtliches (und unsicheres) Betonrondell mit einem Haltestellengebäude für die „Zacke„ und die Straßenbahnen. Danach wurde er ausgelichtet und mit Sitzbänken in einem Baumrund, einem Spielplatz, einem Eiscafe-Kiosk und mit Treppenstufen zum gemütlichen Sitzen aufgewertet. Eine große Freifläche gibt Raum für einen kleinen Markt oder für Feste im Freien. Heute ist der Marienplatz bei schönem Wetter von buntem Leben erfüllt.

Er ist noch immer von gründerzeitlichen Gebäuden eingefasst, wenn auch der Krieg große Lücken gerissen hat. Einst stand auf dem Platz der riesige Rundbau mit 3500 Plätzen. Er wurde von Hangleiter errichtet, und in ihm fanden große Maifeiern statt, hielten die Sozialdemokraten 1893 ihren Parteitag ab, und so mancher Zirkus machte hier Station. 1916 wurde der Bau abgerissen. Danach fanden die großen Veranstaltungen in der Stadthalle in der Neckarstraße statt. Sie wurde im Krieg völlig zerstört. Heute steht an ihrem Platz das SWR Haus.

Unter dem Platz ist noch ein großer Tiefbunker aus dem Weltkrieg vorhanden. Die Decken und Wände sind so widerstandsfähig, dass man bei der Neugestaltung um sie herumbauen und die U-Bahn ihn unterfahren musste. Er wird von Musikbands als Übungsraum genutzt.

Zwei große Gebäuden stehen am Platz, die den Krieg überlebt haben und danach wieder hergestellt wurden: der Kaiserbau der Architekten Bihl und Woltz von 1911und der Filderbau, ein Schiefer gedecktes Gebäude mit Mansarden im Stil der großen Pariser Palais.

Der stilvoll – schlichte Kaiserbau am östlichen Platzrand galt zu seiner Zeit als architektonisches und geschäftliches Aushängeschild mit einem noblen Café, riesigen herrschaftlichen Wohnungen und modernster Haustechnik mit elektrischen Aufzügen.

Der Bau wurde nicht etwa nach einem Kaiser benannt, der die Residenzstadt einst besuchte, sondern nach dem Fabrikanten Automaten-Kaiser. Um die Wende ins 20. Jahrhundert waren Automaten sehr beliebt. Es gab den Postplatz-Automaten am Rotebühlplatz, den Charlottenautomaten an der Charlottenstraße, den Residenzautomaten an der Schloßstraße, den Kaiserautomaten und den Königsautomaten. Aus den Automaten konnte man für einen Groschen belegte Brötchen oder Kuchenstücke ziehen oder Bier in Gläser zapfen. Besonders beliebt waren die gelegentlichen Fehler. Der Automat spendierte dann unermüdlich Brötchen, bis der Nachschub zur Neige ging. Und wenn der Bierautomat einmal spann, musste man flink das Glas leer trinken, um das unaufhörlich weiter strömende Bier nicht zu vergeuden. Der Beginn des 1. Weltkriegs bedeutete für die meisten Automaten das Ende, aber ein Automat stand noch im Jahr 1939 in der Unteren Königstraße 10b.