Der Alte Friedhof von Sindelfingen

Ein Besuch dort ist wie ein Ausflug in die Geschichte unserer Stadt. Die Namen auf den Grabsteinen erinnern uns an Menschen, die wir vielleicht noch selbst gekannt haben, über die wir gelesen oder von denen uns unsere Eltern und Großeltern erzählt haben. Die Namen stehen für einstige Ladengeschäfte, Handwerksbetriebe, Gasthöfe, Mühlen und für Fabrikanten und ihre Betriebe. Manche Geschichte führt über unsere Stadt in die weite Welt hinaus.

Dieser Friedhof ist auch ein Ort der Stille mitten in unserer Stadt, abgeschirmt vom Straßenlärm und losgelöst vom quirligen Alltag. Manche ältere Menschen besuchen ihn täglich, um die Gräber ihrer Verstorbenen zu pflegen und mit ihnen stille Zwiesprache zu halten. Andere finden hier während ihrer Mittagspause Ruhe und Erholung, und Mütter können ihre kleinen Kinder dort unbesorgt herumgehen lassen, denn Hunde müssen draußen bleiben. An warmen und sonnigen Tagen ist der Alte Friedhof ein besonders idyllischer Ort.

Frühere Friedhöfe

Frühere Friedhöfe

Bei der letzten Renovierung der Martinskirche stieß man unter dem Fußboden auf Spuren eines frühchristlichen Friedhofs. Da solche um eine Kirche herum angelegt worden waren, war dies der indirekte Nachweis einer uralten christlichen Kapelle oder Kirche an dieser Stelle, die vermutlich dem heiligen Martin von Tours gewidmet war. Wenn einmal auch der Kirchenvorplatz untersucht wird, werden vermutlich weitere Gräber und Zeugnisse aus der Frühzeit zu Tage kommen. Später wurden Friedhöfe abseits der Stadt angelegt, denn man hatte inzwischen erkannt, dass sie das Grundwasser belasten und ein Quell für Seuchen sein können.

Der zweite Friedhof wurde 1570 am südlichen Ufer des Klostersees bei der „Frauenkapelle am See“ angelegt. Der See reichte damals bis an die Klostermauer heran, und die Seegasse, die heutige Stiftstraße, bog oberhalb des Sees nach Osten zu diesem Friedhof ab. Danach führte sie als schmaler Fußweg zur Seemühlenstraße weiter. Auf diesem Friedhof wurden 1688 bei einem Franzoseneinfall siebzehn Soldaten bestattet, die von kaiserlichen Truppen auf dem Rathaus gefangen und niedergemacht worden waren. Im 18. Jahrhundert wurde er „Armesünderkirchhof“ genannt.

Glasstelen
Bild: Dr. Alfred Hinderer
Glasstelen Text
Bild: Dr. Alfred Hinderer

Zwei Stelen des Glaskünstlers Fritz Mühlenbeck aus Weil im Schönbuch – Neuweiler mit dem Titel „Flügel“ schmücken diesen „Poetischen Ort“.  Der Künstler erklärt uns die Glasbilder: „Zwei Flügelpaare kommen aus der Erde, die symbolhafte Befreiung der auf ewig verdammten Seelen, die sich aufschwingen und die Erde verlassen. Die Flügel lösen sich in Federn und Daunen auf, und die Seelen entschweben in die Unendlichkeit.“ Die beiden Stelen leuchten in der Nacht und verbreiten ein märchenhaftes Licht. An diesen einstigen Friedhof erinnert auch eine Bronzetafel des Stadtgeschichtlichen Wegs.

Als im Pestjahr 1594 der Friedhof am See bald voll belegt war, wurde der dritte Friedhof – heute Alter Friedhof genannt – nahe der Kelter auf dem Viehmarktplatz geplant. Sein  nordwestlicher Teil wurde 1825/26 angelegt und 1827 in Betrieb genommen. Der Haupteingang war damals an der Böblinger Straße bei der ehemaligen Sattlerei von Karl Ganzhorn. Für den Bau des Zweiten Rathauses von 1843 – 1845 musste er schon einen erheblichen Teil seiner Fläche hergeben und dann weitere für den Bau der Turnhalle (1878) und der Festhalle (1925). Die Mäuerchen im westlichen Teil stammen noch aus dieser Zeit. Zum Ausgleich wurde er in mehreren Stufen nach Osten hin erweitert. Zur Landesgartenschau wurde der Haupteingang an die Vaihinger Straße neben die Stadtbücherei verlegt.

Friedhofskapelle
Bild: Dr. Alfred Hinderer
Aussegnungshalle innen
Bild: Dr. Alfred Hinderer

Der Friedhof erhielt erst 1911 eine Kapelle mit einer Leichenhalle. Ihre Architektur ist ein Gemisch  verschiedener Stilepochen, und Medaillons mit Jugendstilelementen schmücken die Front. Größere Totenfeiern wurden bis dahin in der Martinskirche gehalten und die Verstorbenen von dort im Leichenzug zur Bestattung auf den Friedhof gebracht. Errichtet wurde die Kapelle von der bürgerlichen Gemeinde nach Plänen des damaligen Oberamtsbaumeisters. Das von einer Kuppel überwölbte stattliche Gebäude musste dann aus finanziellen Gründen bescheidener ausgeführt werden. Interessant ist: die Anlage enthält auch einen Sezierraum und ist voll unterkellert. Es gab damals in Sindelfingen eine größere Gruppe von Freidenkern – auch ein Resultat der Industrialisierung und der damit verbundenen Veränderung in der Struktur der Bevölkerung – die ihre Toten in einer Urne bestatten wollten. Dafür wurde ein Krematorium geplant. Während Leichenverbrennungen im Altertum allgemein verbreitet waren, verbot sie das Christentum, denn es glaubte an die leibliche Auferstehung. Es dauerte lange, bis sich einzelne Städte damit durchsetzen konnten. 1905 konnte das erste Krematorium gegen heftigen Widerstand auf dem Stuttgarter Pragfriedhof gebaut werden. In Sindelfingen ließ sich der Bau dagegen politisch nicht durchsetzen. Der dafür gegründete Verein verlor 1923 sein schon angesammeltes Kapital durch die Inflation und dann erneut durch Gleichschaltung und Enteignung nach 1933. Die Pläne wurden schließlich aufgegeben.

Das Friedhofsgelände umfasst heute eine Fläche von ca. 2 ha. Weil es nicht mehr erweitert werden kann, wurde 1949/50 auf der Burghalde ein neuer Friedhof angelegt. Auf dem Alten Friedhof dürfen jetzt wieder Urnen in bestehenden Gräbern beigesetzt werden.